Das neue Olympus M.Zuiko Digital ED 150-400mm F4.5 TC1.25x IS PRO im Test
Alle ambitionierten Naturfotografen mit einer Olympus-Kamera und diejenigen, die umsteigen wollen, haben vermutlich lange auf diese Nachricht gewartet. Es ist da!
Und kann es die hohen Erwartungen seit Ankündigung Anfang 2019 erfüllen?
Für mich übertrifft es die sogar!
Ich hatte die letzen Tage das Privileg, gemeinsam mit dem holländischen Visionary und neuen Freund Alexander Koenders, dem Filmer Chris Eyre-Walker und der Portrait-Fotografin Ashley Joanna das erste deutsche Sample dieses Objektives am Bodensee ein paar Tage intensiv zu testen.
(Foto: Ashley Joanna)
Erster Eindruck - pure Begeisterung
Als mir der Olympus Mann Nils Häussler am Abend, als wir uns in Moos am Bodensee trafen, das neue Objektiv in die Hand gab war ich mehr als überrascht. Dieses "weisse Trum" wiegt nicht mal 2 Kilogramm (exakt 1875 Gramm inkl. Stativ-Schelle, ohne Sonnenblende, die ist aber sehr leicht weil aus Carbon). Als ehemaliger Canon-Fotograf verbinde ich mit weissen Objektiven immer eine Hantel-Erfahrung mit 3,5Kg+. Mit angesetzter Kamera ist das System 37cm lang und die Sonnenblende hat 15cm Durchmesser. Der Durchmesser an der Frontlinse ist 95mm. Das System E-M1X + Objektiv wiegt somit weniger als 3 Kilogramm.
Also gut, das beeindruckte mich schon mal. Ansonsten sieht es genau so aus, wie die Bilder, die bei der Ankündigung die Runde machten. Wir sassen abends zusammen und waren mehr als gespannt, wie es sich im Praxiseinsatz beweisen wird. Dazu würden wir in den kommenden Tagen am Untersee die Zugvögel bzw. Wintergäste fotografieren und unterschiedliche Aspekte der Vogelfotografie beleuchten. Denn mit dem Objektiv sind unsere M1X-Bodies auch mit der neuen Firmware ausgestattet, die den Bird-Tracking AF Modus bietet. Über meine Erfahrungen damit berichte ich detailliert in meinem nächsten Blog-Beitrag in 1-2 Wochen gesondert. Die Firmware soll Anfang Dezember als Update der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Bird-Tracking Autofokus bleibt aber der M1X vorbehalten, denn es braucht die Rechenleistung der beiden Prozessoren, die in der Kamera verbaut sind.
Funktionalität
Morgens ging es raus und wir fotografierten die Ansammlungen von Entenvögeln in der Radolfzeller Bucht. In der Hand ein Objektiv, das von umgerechnet 300mm bis 1000mm (KB -equivalent) eine enorme Bandbreite abdeckt. Bis 400mm (800mm KB-equivalent) mit durchgehend Blende F4.5 und bei 500mm (1000mm KB-equivalent) dann mit zugeschaltetem 1.25x Konverter mit Blende F5.6. Und das Ganze soll völlig ohne Stativ funktionieren, denn der Stabilisator ist wie beim 300er PRO synchronisiert mit dem in der Kamera.
(Fotos: Ashley Joanna)
Die Bedienung ist gut durchdacht, wenn auch die Schalter an der Seite für mich eher weniger Nutzen bringen, ausser der Umschalter für die Entfernungen und MF/AF. Der Konverter lässt sich arretieren und ist gut zugänglich. Die Tasten lassen sich konfigurieren und können so an fast jede Vorliebe angepasst werden. Die Sonnenblende ist leicht und Robust. Die Abdichtung ist gewohnt professionell.
Was mir besonders auffällt sind zwei kleine Details, die das arbeiten erleichtern. Die Stativschelle hat eine Arca-Swiss Führung integriert und lässt sich leicht im 90° Raster verstellen und arretieren. Mit der angesetzten M1X lässt sich das System ganz ausgewogen und lange Zeit tragen, ohne dass man einen Krampf in der Hand bekommt. Das zweite Detail ist der gummierte Rand an der Frontlinse. Das Objektiv lässt sich so auch ohne angesetzter Sonnenblende gefahrlos aufs "Gesicht" stellen, wenn die Oberfläche hart und glatt ist.
Da dieses Objektiv vor allem für Freihand-Aufnahmen prädestiniert ist, kommt es beim Ansitzen natürlich auch gut, ein Stativ zu nutzen. An einem morgen machte ich das auch. Da das ganze System keine drei Kilogramm wiegt und das Stativ auch keine Erschütterungen vom Spiegelschlag oder Verschluss schlucken muss, reicht ein kleines Stativ mit einfachem Kugelkopf. Es geht hier weniger um die Stabilität, als um eine Auflage und Halterung für das Tarnnetz. Ich verwende hier ein kleines Carbonstativ (Sirui T1205-X) und den Kugelkopf CB-2 von Novoflex. Das macht aber nur Sinn, wenn man sich tarnen will und sich nicht gross bewegen darf um die Tiere nicht zu stören.
Die Bildqualität
Um die Bildqualität zu beurteilen haben wir nicht irgendwelche aufwendigen Charts fotografiert, sondern sind pragmatisch geblieben. Alexander und ich wechselten uns immer wieder ab mit der neuen Linse und Alexander fotografierte parallel mit dem neuen M.Zuiko ED 100-400mm F5.0-6.3 IS und ich mit dem guten alten M.Zuiko ED 300mm F4.0 IS PRO mit und ohne Konverter. Das 300er ist ja als Festbrennweite schon eine harte Referenz in der Bildqualität.
Soviel vorweg: Man sieht den Unterschied beim direkten Vergleich zum 100-400er, obwohl das schon recht gut ist (siehe mein Blogartikel dazu). Hier wird klar, dass ein Objektiv für den Hobbybereich zum Preis von 1.300 EUR einfach nicht mit einem PRO Objektiv für höchste Ansprüche und einem mehrfachen des Preises vergleichbar sein kann. Allerdings muss man auch sagen, dass bei perfektem, hellem Licht und im mittleren Zoombereich der Unterschied erst beim zweiten Blick sichtbar wird. In den Grenzbereichen mit wenig Licht, harschen Kontrasten oder bei 400mm, bzw. 500mm allerdings sehr deutlich. Aber genau da kommt es auf die Ansprüche in der Anwendung an.
M1X + M150-400mm F4.5 TC bei 500mm (1000mm KB) 1/160s; F6.3; ISO 500 Freihand
M1X + M150-400mm F4.5 TC bei 500mm (1000mm KB) 1/2000s; F6.3; ISO 1000 Freihand
Schärfe und Details sind enorm, auch bei hohen Kontrasten und Aufnahmen mit eingeschaltetem Konverter, also 1000mm KB-equivalent und längeren Belichtungszeiten. Das hab ich mit noch keinem anderen System gesehen.
Blaue Stunde im Grenzbereich: bei 400mm (800mm KB) 1/100s, F5.0, ISO4000 mit BirdTracking AF
Zum 300er sieht man fast keinen Unterschied, wenn am 300er nicht der Konverter im Einsatz ist. Mit Konverter machen die Bilder des neuen 150-400 einen etwas kontrastreicheren und schärferen Eindruck.
Rechts ist das Bild vom neuen 150-400er, links vom 300er mit MC14 um vergleichbare Brennweite zu haben. Das 150-400er macht einen etwas schärferen und detailreicheren Eindruck, auch wenn das kein Referenztest ist, da es von zwei verschiedenen Fotografen stammt. Wir machten noch einige andere Tests und haben den Eindruck, dass das neue Objektiv auf dem Niveau der Festbrennweite liegt.
Beweglichkeit und Schnelligkeit ist Alles
Sitzt man mit einer grossen Tüte am Ufer, um relativ statisch Wasservögel oder andere Tiere zu fotografieren, ist es auch gut möglich mit Vollformat, Gewicht und Stativ zu arbeiten. Ganz Anders wird es, wenn man Vögel fotografieren will, die nicht so vorhersehbar auf dem Wasser rum schwimmen, oder weithin sichtbar im Anflug sind. Deshalb kam uns in den Sinn, Winter-Goldhähnchen zu fotografieren, die häufig in der Ufervegetation zu finden sind. Diese kleinen Vögel (eine der kleinsten Arten bei uns überhaupt) sind ständig in Bewegung, springen von Baum zu Baum und Ast zu Ast und sitzen keine Sekunde ruhig. Hier zeigt sich der wahre Vorteil eines solchen Objektivs. Ohne Stativ und mit weniger als 3Kg Gesamtsystem-Gewicht lässt sich die Kamera schnell bewegen und man ist gut in der Lage, die Tiere im Gewirr der Äste und Blätter zu lokalisieren und zu fotografieren. Ganz natürlich und in ihrer gewohnten Umgebung. Trotzdem mit ausreichend Brennweite, um die kleinen Quirle fotogen im Bild festzuhalten oder freizustellen.
(Bild: Ashley Joanna) - konzentriert im Gebüsch auf der Suche nach den kleinen Quirlen
Der Autofokus arbeitet enorm schnell (gefühlt wie beim 300er) und sitzt präzise bei jeder Brennweite. Die Brennweite lässt sich sehr fein und schnell verstellen. So kann man sich darauf konzentrieren die Tiere in den Sucher zu bekommen und im Rahmen der Zeit, die sie einem geben seinen Ausschnitt wählen und auslösen. Ich fotografiere in solchen Situationen meistens mit (S), also Zeitvorwahl, Auto-ISO, C-AF, kleinem Sensorfeld und Silent Shutter mit 10-15 Bildern/Sek.
M1X + M150-400mm F4.5 bei 400mm (800mm KB) 1/800s; F4.5; ISO 2500 Freihand
Bei den Bildern zeigt sich auch die enorme Abbildungsleistung des Objektivs. Die Schärfe ist klasse, die Kontraste sind enorm gut und es lässt sich in keiner der Situationen irgendein Farb- oder sonstiger Fehler erkennen. Das beeindruckt schon sehr und ich beginne mich in diese Linse zu verlieben.
Vogelfotografie brauch mehr als eine gut Linse
Bei der Vogelfotografie, wie ich sie liebe, nämlich ohne aufwändige Arrangements oder künstlichem Setting, sondern in freier Wildbahn mit ständiger Ungewissheit und Überraschungsmomenten, ist ein gutes Objektiv alleine nicht die Lösung. Das gesamte System muss passen. Der Autofokus muss schnell und präzise arbeiten und die Bildstabilisierung darf beim Mitziehen nicht dagegen arbeiten, sondern muss intelligent mitmachen. Deshalb hat Olympus passend zum Launch des neuen Objektivs auch die Firmware für die M1X um den Bird-Tracking AF erweitert und am AF und der Stabilisierung optimiert. Das Ergebnis ist überzeugend.
Über den Bird-Tracking AF werde ich gesondert einen Artikel schreiben, denn der hat es in sich, ist aber keine Pauschal-Lösung. Der Einsatz hat enorme Vorteile, aber auch seine Tücken. Dazu später mehr.
Bezüglich der Intelligenz der Stabilisierung habe ich den Eindruck, dass es nun passt. Man muss sich nämlich keine Gedanken mehr machen. Die Stabilisierung passt sich der Bewegung an und merkt offenbar präziser als bisher, ob man mitzieht.
(Foto: Ashley Joanna)
Wenn das System so abgestimmt arbeitet, kann man dann auch Telefotografie in dieser Bandbreite ohne Probleme z.B. vom wackeligen Boot aus machen. Eine wahre Freude!
M1X + M150-400mm F4.5 TC bei 500mm (1000mm KB) 1/2000s; F6.3; ISO 640 im Boot
Grenzanwendung im Spektiv-Territorium
Bei der Bootstour habe ich spasshalber mal den MC20 Konverter ausprobiert und somit die Brennweite auf 1000mm (2000mm KB) erweitert. Mir ist zwar klar, dass da Grenzen sind, aber der Test zeigte, dass das durchaus mal möglich ist, um dokumentarische Bilder aus grosser Entfernung zu machen. Für professionelle Bilder würde ich das zwar nicht nutzen, aber es macht trotzdem Spass zu sehen, wie weit man gehen kann und beim Durchschauen meiner Bilder am Rechner war ich ziemlich beeindruckt, wie detailreich sie sind. Man muss sich bewusst sein, dass viel warme Luft zwischen Linse und Objekt bei grossen Distanzen immer das Ergebnis beeinflusst.
M1X + M150-400mm F4.5 TC + MC20 bei 1000mm (2000mm KB) 1/2500s; F11; ISO 1600 Freihand im Boot
M1X + M150-400mm F4.5 TC + MC20 bei 1000mm (2000mm KB) 1/2500s; F13; ISO 1600 Freihand im Boot
Macro geht auch - und zwar extrem
Das andere extreme Ende der Möglichkeiten ist die Macro-Fotografie oder besser gesagt Details bei langer Brennweite an der Naheinstellgrenze. Und hier schiesst Olympus für mich wieder mal "den Vogel ab". Die Naheinstellgrenze bei diesem Objektiv liegt bei sage und schreibe ca. 1,3m. Das ist sensationell und ermöglicht an diesem Ende der Bandbreite auch ganz neue Möglichkeiten. Mit einem Abbildungsmassstab von unter 1:2 bietet das Objektiv vor allem in der Insektenfotografie viele Optionen. Ich habe das nicht ausführlich genug getestet, da uns dazu die Zeit dazu fehlte. Das wäre aber mal noch ein ganz eigener Blogbeitrag. Ich wollte nur mal schauen, wie die Qualität in diesem Bereich aussieht und habe mit 500mm an der Naheinstellgrenze ein paar Bilder gemacht, unter Anderem auch mit dem automatischen Fokus-Stacking und im Handheld HighRes Mode. Beides funktioniert prima und liefert erstaunliche Ergebnisse. Hier zwei "quick&dirty" Beispiele, die ich aus der Hüfte geschossen habe ohne Anspruch auf besondere Gestaltung:
M1X + M150-400mm F4.5 TC bei 460mm (920mm KB) 1/125s; F5.6; ISO 200 Freihand
M1X + M150-400mm F4.5 TC bei 500mm (1000mm KB) 1/400s; F5.6; ISO 200 HighRes Freihand
(100% Crop)
Künstlerisches: Bokeh und Freistellung
Kommen wir zum Schluss zu einem Thema, das alle Experten als besonders wichtig erachten. Die Freistellungsleistung und das Bokeh. Beides sehr wichtige Aspekte, die in der kreativen und künstlerischen Fotografie eine hohe Bedeutung haben.
Zuerst zur Freistellungsleistung. Es wird ja immer behauptet, dass bei MFT die Freistellung nicht so gut geht wie bei Vollformat und darum ist MFT nix für die richtigen Profis. An anderer Stelle habe ich meine Meinung zu dieser Haltung gesagt.
Bleiben wir bei der Physik. Die Freistellungsleistung im direkten Vergleich zu Vollformat ist 2 Blendenstufen geringer. Hier also bei Offenblende F4.5 wie bei Blende F9.0 an Vollformat. Das gilt aber nur bei gleicher Brennweite und gleichem Abstand. Da dieser Effekt bei ca. 30% weniger Abstand oder 30% mehr Brennweite ausgeglichen wird ist das relativ zu sehen. Mit einer Naheinstellgrenze von 1.3m und einer max. Brennweite von 800mm (KB) wird der Spielraum gegenüber vergleichbaren Objektiven im Vollformat grösser, so dass das kein wirkliches Argument mehr ist. Hier geht es also mehr um Glaubenssätze.
Beim Bokeh sieht es anders aus. Das ist eine offensichtliche Bildwirkung. Die muss passen. Und das tut sie für mein Empfinden. Der Übergang ist schön cremig und weich und durch die hohe Freistellungsleistung bei langen Brennweiten kann man wunderbar künstlerisch und kreativ arbeiten. Ich persönlich bin zumindest mehr als zufrieden damit.
M1X + M150-400mm F4.5 bei 400mm (800mm KB) 1/1250s; F4.5; ISO 4000 Freihand
M1X + M150-400mm F4.5 bei 207mm (414mm KB) 1/400s; F4.5; ISO 1600 Freihand
Fazit
Nach den vier Tagen intensiven Test ist meine Begeisterung geblieben und ich finde nichts zu meckern. Im Gegenteil. Das Objektiv ist ein absolutes Must Have für mich, denn es bietet genau das, was ich als ambitionierter Naturfotograf mit der Vorliebe für Vögel und andere scheue Tiere brauche. Es ist leicht, ich kann stundenlang aus der Hand fotografieren, habe einen Zoom-Bereich, der keine Wünsche offen lässt und die optische Leistung ist exorbitant hoch. Sie liegt auf dem Niveau einer professionellen Festbrennweite. In Kombination mit der enorm guten Bildstabilisierung von Olympus gibt mir dieses Objektiv ein Mass an Freiheit und Möglichkeiten, wie ich das vorher nie erlebt hatte. Ich kann mich selbst bei der anspruchsvollen Vogelfotografie auf die technische Zuverlässigkeit verlassen und mich mit Komposition und gestalterischen Aspekten beschäftigen, wie ich das nie zuvor kannte.
Die angekündigten 7.000 EUR als Verkaufspreis sind aus meiner Sicht mehr als gerechtfertigt, denn es ist ein hochwertiges Profi-Objektiv. Vergleicht man es mit den 5-stelligen Preisen der Premium-Teleobjektive anderer Hersteller, bekommt man hier deutlich mehr fürs Geld, nämlich nicht nur Qualität und Robustheit, sondern vor Allem viel Bewegungsfreiheit.
Andreas Geh
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